AUSZUG
aus
> SHITSTORIES <
von
Ina-Lene Dinse
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Ina-Lene Dinse
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INNEN. DAMENTOILETTE - TAG
Ein Radio wird eingeschaltet. In billiger Soundqualität hören wir Musik, darüber das Geräusch von Wasser, das in einen Eimer läuft. Das Licht flackert, bevor es eine schäbige Damentoilette beleuchtet. Der Radiosound wird zur Filmmusik. JENNY (29) klatscht einen dreckig triefenden Mopp auf den Boden. Seife läuft in einem dickflüssigen Schwall in den Spender. Mit spitzen Fingern zieht Jenny einen String Tanga mit Leopardenmuster hinter der Heizung hervor. Sie legt Klopapier nach und drückt die Spülung. Das schaumige Wasser in der Kloschüssel verschwimmt mit dem Bild von Glasreiniger, der auf dem Spiegel aufschäumt. Der Schaum wird abgezogen und das Spiegelbild wird scharf: Jenny, tätowiert, Ringe in Ohr und Gesicht und eine kurze Schürze um die Hüfte gebunden, schaut sich prüfend in die Augen. Sie macht sich bereit für die Nacht. Als würde ein Edding auf den Spiegel schreiben erscheint der Titel >> SHITSTORIES << INNEN. DAMENTOILETTE - NACHMITTAG Der ‚Edding‘ schreibt die Uhrzeit auf die Fliesen: 16:43 UHR Jenny vor dem Spiegel kontrolliert ihre Frisur. MARC (28) kommt herein, stellt sich neben sie. JENNY Tschuldigung, das ist hier ne Damentoilette. Marc schaut sie im Spiegel an, dann plötzlich drückt er sie an die Wand und küsst sie. Jenny stößt sich den Kopf am Tamponautomaten. JENNY Aua! Du Idiot. MARC Oh Scheiße, tut mir leid. Ich hab das Teil nicht gesehen… Jenny hält ihn davon ab, noch mehr zu sagen, indem sie ihn zurück küsst und in die andere Richtung drückt. Jetzt hat Marc die Türklinke im Rücken. Als sie gegen das Waschbecken knallen, hält er kurz inne. MARC Ist ne richtig schlechte Idee, oder? JENNY Hä? MARC Hier… JENNY Schlechte Ideen find ich sexy. Marc schiebt ihr seine Fingerspitzen vorne in die Hose. MARC Ist das eigentlich was Ernstes mit dir und Karl? JENNY Könnte schon sein. MARC Ich halte dich hoffentlich nicht von der Arbeit ab. Jenny nimmt seine Hand und schiebt sie tiefer. JENNY Doch. Von draußen sind Schritte zu hören. Im letzten Moment schaffen sie es, sich in eine der Toilettenkabinen zu zwängen und die Tür abzuschließen. Kichernd fangen sie wieder an zu fummeln. ANNA (26) kommt herein und geht auf das noch freie Klo. ANNA Jenny? Tut mir total leid, ich muss gleich schon wieder los. Ich kann heute noch ne Schicht machen. Jenny und Marc erstarren, halbnackt aufeinander sitzend. JENNY Okay, äh… schade. ANNA Eigentlich wollte ich nur kurz mit dir reden, ohne Marc. Aber dann wollte er unbedingt mit. Konnt’ ich ihm ja schlecht verbieten. Jenny hält Marc den Mund zu. JENNY Macht ja nichts… Marc ist doch okay. MARC (in stummen Mundbewegungen) Okay? Jenny streckt ihm die Zunge raus und Marc grinst ihr zu. ANNA Na ja… Marcs Grinsen erstarrt. JENNY Karl kommt ja auch noch irgendwann. ANNA Den will ich endlich mal kennenlernen, deinen Karl! Marc will leise aus der Toilette verschwinden, aber Anna drückt plötzlich die Spülung und er quetscht sich schnell zurück zu Jenny. ANNA Du hast so Glück mit den Männern. JENNY Seit wann das denn? ANNA Ich krieg immer nur die Langweiligen ab. JENNY Quatsch! Marc ist doch nicht langweilig. ANNA Findest du? JENNY Für son Computerheini… ANNA Wahrscheinlich hast du recht. Der hat das gar nicht verdient. JENNY Was? ANNA Jenny, ich muss dir was erzählen. Marc und Jenny schauen sich irritiert an. ANNA Ich hab was richtig Dummes gemacht. JENNY Warte ma Anna, ich komm’ raus. ANNA Ich hab fremdgefickt. Und es war der Hammer! Marc rutscht an der Wand ab und trifft Jenny mit dem Ellenbogen. Jenny stöhnt vor Schmerz auf. ANNA Alles klar bei dir? JENNY Ja! Jenny drückt schnell die Spülung und schiebt sich vorsichtig in den Vorraum. Marc bleibt wie eingefroren sitzen. JENNY Aber ich dachte, du und Marc, ihr seid so glücklich. ANNA Sind wir doch auch! Ich weiß nicht wie das immer passiert… JENNY Immer? ANNA Jenny, ich… JENNY Sollen wir erstmal wieder raus gehen und was trinken? ANNA Ich krieg meine Tage nicht. JENNY Ach du Scheiße. Aus der Toilette kommt ein dumpfes Geräusch, als wäre Marc wieder von irgendwas abgerutscht. ANNA Ist da noch jemand? JENNY Nee, da war ich doch grade aufm Klo. Marc hält die Luft an und beißt sich auf die Faust. ANNA Kennst du dich aus mit diesen Tests? JENNY Schwangerschaftstests? ANNA Vaterschaftstests. Pause. JENNY Wie meinst du das? ANNA Der Bruder von Marc, der wohnt doch jetzt bei uns gegenüber, seit April. Wie betäubt fällt Marcs Faust aus seinem offenen Mund. JENNY Ich brauch n Schnaps. ANNA Du denkst jetzt, dass ich voll die Schlampe bin, oder? JENNY Nein! Anna, jetzt beruhig’ dich erstmal. Das kann ja quasi jedem mal passieren. ANNA Echt? JENNY Klar. Oder? Anna umarmt Jenny fest und drückt das Gesicht in ihren Pulli. ANNA Ich bin so froh, dass du da bist. Anna löst sich von Jenny und wischt sich die Augen am Ärmel trocken. Plötzlich wirkt der Raum sauber und warm. Anna hat einen großen, runden Babybauch. Als sie sich über das Waschbecken beugt, um sich das Gesicht zu waschen, ist der Bauch im Weg. Anna lacht fröhlich darüber. Jenny erwacht aus ihrem Tagtraum, Anna steht verheult und bauchlos vor ihr. ANNA Vielleicht sollte ich Marcs Antrag annehmen. Dann wäre ich wenigstens abgesichert. JENNY Antrag? ANNA Als IT kriegt der ja überall Arbeit. JENNY Was für'n Antrag? Einen Moment schauen sie sich stumm an. ANNA Wir heiraten. Marc sitzt auf dem Klodeckel und sieht aus, als würde er sich am liebsten selbst hinunterspülen. ANNA Du musst die Rede halten, ja? JENNY Hä? ANNA Auf der Hochzeit. JENNY Ich? ANNA Ohne dich übersteh’ ich das nicht. Anna verdreht Jennys Arm, um ihre Armbanduhr zu sehen. ANNA (im Hinausgehen) Muss los. Ich freu mich drauf, deinen Karl kennenzulernen! Anna ist weg. Jenny versucht gleichmäßig zu Atmen, sie hat Schwierigkeitn zu schlucken. Marc kommt aus der Kabine, weiß nichts zu sagen. Kurz steht Jenny in einem zerknitterten Hochzeitskleid vor ihm, Rosenblätter regnen von der Decke. JENNY Heiraten? Bist du bescheuert? Marc will an Jenny vorbei. Kleid und Rosenblätter sind verschwunden. MARC Ich versuch sie mal einzuholen. JENNY Vergiss es. Du verschwindest jetzt! MARC Und was bitte sag ich Anna? JENNY Deine Oma ist tot. Keine Ahnung, denk dir was aus, Superhirn. MARC Ich hab keine Oma. Marc will gehen. Jenny nimmt kurzerhand den Gitter-Papierkorb hoch und schmeißt ihn mit überraschender Kraft auf Marc. Marc wehrt das Geschoss mit den Händen ab und schreit vor Schmerz auf. MARC AHH! Scheiße! JENNY Halt die Fresse. MARC Mein Finger ist gebrochen, du Fotze! Du bist ja total gestört! JENNY Sei still oder ich brech dir auch noch n Bein oder so. MIKE Ähm. In der Tür steht MIKE (34), der Koch des Üpsilon. Es ist nicht klar, wie viel er mitbekommen hat. MARC Mike, die ist völlig verrückt. MIKE (zu Jenny) Ick will ja keen Spaßverderber sein, aber dit wär dufte, wenn de dich mal wieder um die Jäste kümmern tätest. JENNY Wollt’ ich grad machen. MIKE Sollt’ ick hier irjendwas wissen? JENNY Seine Oma ist gestorben. MARC Bullshit. Die Schlampe hat… MIKE Meen Beileid. Marc versteht, dass er hier nichts mehr zu melden hat. MARC Ich muss zum Arzt. Mit einem letzten Blick zu Jenny geht er hinaus. JENNY Mike? MIKE (im Hinausgehen) Wenn de nich in zwee Minuten hinterm Tresen stehst, fliegste. Hat Cheffe jesagt. Mike ist weg. Jenny wirft ihrem Spiegelbild einen angespannten Blick zu. Ein paar Rosenblätter segeln verloren um sie herum. Wütend schlägt Jenny sie mit der Hand weg. © 2019 - Urheberrechtshinweis
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